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"Ich habe meinen Ort im Leben gefunden"

Die Gottsuche wach halten: Br. Wolfgang Sigler legt am 1. Juli seine Feierliche Profess ab

Am 1. Juli wird Br. Wolfgang Sigler OSB seine Feierliche Profess ablegen und sich auf Lebenszeit an die Abtei Münsterschwarzach binden. Der gebürtige Regensburger trat 2015 nach Abschluss des 2. Juristischen Staatsexamens ins Kloster ein und studierte während seiner Ausbildungszeit Theologie, was er 2022 mit dem Magister abschloss. „Ich würde nirgends anderes Benediktiner sein“, sagte Br. Wolfgang vor seiner Zeitlichen Profess 2018. Wie dieser Entschluss in den vergangenen Jahren bei ihm gewachsen ist und was für ihn das Leben in Gemeinschaft ausmacht, erzählt er im Interview.

Frage: Der Name sagt es schon: Feierliche oder Ewige Profess. Das ist ein großer Schritt im Klosterleben, wenn nicht sogar der finale, oder?

Br. Wolfgang Sigler OSB: Der bisher größte. Als Mönch wird man ja nie ganz fertig. Gleichwohl gibt es diese großen Trittsteine auf dem Weg – und so einer ist das auf jeden Fall. Die Feierliche Profess legt man lebenslang ab. Das ist natürlich ein Unterschied zu den zweijährigen zeitlichen Professen, die ich während meiner Studienzeit hier abgelegt habe.

Frage: Die Ausbildungs- und Studienzeit hat Sie ja in verschiedene Orte geführt. Salzburg, St. John’s, Collegeville, in Minnesota und Schuyler in Nebraska, Frankfurt. Seit vergangenem Jahr sind sie aber fest hier, können Ihre Beständigkeit auch im Äußeren entsprechend leben…?

Br: Wolfgang: Ich habe erst vor Kurzem realisiert, wie lang die Ausbildungszeiten insgesamt waren. Vorher mein Jurastudium mit Referendariat, dann noch einmal fünf Jahre Theologie. Das waren insgesamt 13 Jahre. Nach diesen Zeiten tut es mir wirklich gut, keine Prüfungen mehr ablegen zu müssen und einfach meine Arbeit tun zu können. Natürlich war ich zwischendurch immer wieder hier, aber das Alltägliche, die Gespräche beim Kaffee zwischendurch mit den Mitbrüdern, auch das gemeinschaftliche Gebet, das war immer nur bis zur nächsten Zugfahrt.

Frage: Herausfordernd, wenn man stabilitas, also Beständigkeit, verspricht und dann als junger Mönch ständig unterwegs ist, oder?

Br: Wolfgang: Ich selbst verstehe mich als einen sehr stabilen Menschen – erst seit meinem Klostereintritt hat sich das geändert und ich war, durch Seminare der monastischen Ausbildung und die verschiedenen Studienorte, mehr unterwegs als je zuvor. Da ist man zwischendurch auch etwas zerrissen und nun freue ich mich, einfach mal da zu sein.

Frage: Was macht für Sie das Klosterleben, das Leben in Gemeinschaft, hier in Münsterschwarzach aus?

Br: Wolfgang: Da gibt es einerseits die ganz persönliche Ebene, der Austausch mit den Mitbrüdern, in Gesprächsgruppen, aber auch zwischen Tür und Angel. Da gibt es andererseits auch Herausforderungen, die man gemeinsam durchmacht. Natürlich auch schöne Zeiten, wie etwa Feste. Feiern können wir wirklich. Und ganz klar der Ort. Dieser Ort macht es auf ganz eigene Art möglich, nach Gott zu schauen. Gemeinsam und zugleich jeder für sich. Wir suchen kontinuierlich und immer wieder, sind beständig an diesen Fragen dran. Und wenn ich mal nicht dran bin, dann ergeben sich Momente, in denen ich drauf gestoßen werde. Mir kam letztens der Vergleich mit den Suchmaschinen im Internet. Wir sind so eine Art Gottes-Suchmaschine – aber eine lebendige.

Frage: Die Gottsuche ist ja auch in der Benediktsregel grundlegend …

Br: Wolfgang: Genau, sie ist das entscheidende Kriterium für den Novizen. Bevor er eintritt, soll darauf geschaut werden, ob er wirklich Gott sucht. Die Lebendigkeit im Kloster hängt davon ab, dass die Lebenserfahrungen der verschiedenen Generationen fast wie Zahnräder ineinandergreifen. Immer wieder kommt einer. Greift etwas auf, was schon da war. Macht was Neues. Es begeben sich immer wieder Menschen in diesen Prozess hinein, legen Profess ab – hier in Münsterschwarzach seit über 1.200 Jahren.

Frage: Auch die jüngere Geschichte von Münsterschwarzach bietet ja lebendige Zeugnisse. Vor gut einer Woche wurden hier die Jubilare gefeiert, die teilweise 75 Jahre hier im Kloster leben. Sind das Vorbilder?

Br: Wolfgang: Orientierungspunkte würde ich sie nennen, lebendige Orientierungspunkte. Es geht nicht um ein Kopieren. Aber man kann sich viel abschauen. Allein diese Lebensläufe, Lebensleistungen, die sich über Kontinente erstrecken. Das macht mich immer wieder mal auch ehrfürchtig. Gleichzeitig war der ältere Mitbruder, als ich ihm gratulieren wollte, gar nicht mit seiner eigenen Feier beschäftigt, sondern voller Vorfreude auf meine anstehende Profess.

Br. Wolfgang Sigler

Frage: Sie werden drei Professversprechen abgeben, die stabilitas (Beständigkeit), oboedientia (Gehorsam) und conversatio morum (klösterlichen Lebenswandel). Was bedeuten diese für Sie persönlich?

Br: Wolfgang: Gehorsam versprechen wir zunächst einmal dem Abt gegenüber. So herausfordernd das vielleicht klingen mag, darf man sich auch nicht darum drücken. Wenn er vielleicht eine Aufgabe an mich heranträgt, die nicht meinem ersten Wunsch entspricht, muss ich schauen, wie ich damit umgehe. Der Abt trifft Entscheidungen ja nicht nach Gutdünken, sondern verkörpert die Interessen der Gemeinschaft, der ich mich anschließe, deren Teil ich bin. Es geht um ein Wir. Das Wir hier am Ort, das Wir in der Gemeinschaft. Der Blick der Mitbrüder ist nach der benediktinischen Tradition eine wichtige Teststation, ob ein Weg trägt.

Frage: Also geht es im weitesten Sinne um Rücksichtnahme, um das Zurückstellen von Egoismus?

Br. Wolfgang: Das klang jetzt vielleicht ein bisschen zu sehr nach: Die Gemeinschaft ist alles. Keine Sorge, der Einzelne und seine Bedürfnisse dürfen schon auch vorkommen. Und es ist ein gemeinsames Lernen. Und doch: Loslassen lernen hat mit Gottsuchen zu tun. Wenn ich Gott begegnen will, dann ist eine große Gefahr, eigene Vorstellungen zu haben, wie es ist. Dann fehlt der offene Raum, in dem sich etwas entwickeln kann. Um das zu vermeiden, muss ich in eine Haltung hineinfinden, die loslassen kann. Ich glaube nicht, dass uns Gott den Weg genau vorschreibt. Gehorsam heißt vielmehr, dass wir gemeinsam hinhören auf diese Suchbewegung Gottes. Die Strenge liegt anderswo: Hinhören müssen wir schon.

Frage: Beständigkeit und klösterliche Lebenswandel stehen in ziemlichen Gegensatz zu dem, was junge Menschen heutzutage für Lebensvorstellungen haben. Man will sich eher weniger festlegen, die Individualität bestimmt alles.

Br. Wolfgang: Im neuesten Kellion-Buch ist die Beständigkeit besonders herausgearbeitet. Spannend finde ich, wie sich stabilitas mit mutabilitas paart, es geht um Stabilität einerseits und Veränderlichkeit oder Veränderungsbereitschaft andererseits. Irgendwie steckt das ja auch im klösterlichen Lebenswandel mit drin – du wandelst den Weg als Mönch entlang und er wandelt dich. Ich glaube, Bindungsängste kommen oft von der Angst vor Veränderungen. Eine Bindung verlangt mir ab, mich auf einen gemeinsamen Weg einzulassen. Das heißt, einen Weg, den ich nicht allein bestimme. Und am Ende dieses Weges bin ich ziemlich sicher nicht mehr der, der ich am Anfang war. Das Ich-Sein, wie es jetzt gerade ist, ist angefragt und das ist für viele ein Problem: Das „Sich-verändern-müssen“ ohne letztendliche Kontrolle. Verbindlichkeit ist aber andererseits etwas, was viele Menschen schätzen.

Frage: Inwiefern?

Br. Wolfgang: Ein großer Wert ist es doch, wenn ich mich auf etwas oder noch mehr: auf jemanden verlassen kann. Das klappt aber nur, solange es Menschen gibt, die die andere Seite verkörpern – die verbindlich sind. Man muss, konsequent gedacht, also auch selber verbindlich sein. Und ich glaube, diese Verbindlichkeit, diese Verlässlichkeit stellen wir mit unserem Leben als Mönche besonders heraus.

Wir sind da, und können bleiben, weil wir uns beständig verändern. Wir leben anders als die Mönche, die 1913 Münsterschwarzach wiederbesiedelt haben. Es werden immer wieder andere Menschen, neue Mönche kommen, es werden immer wieder welche gehen. Ein Punkt, mit dem wir aktuell umgehen müssen: Wir werden weniger werden – und auch darauf lege ich mein Versprechen ab. Der Punkt ist mir wichtig: Dieser Ort, auch wenn er sich verändert, ist mein Ort. Hier soll die Gottsuche wach bleiben und ich will meinen Beitrag dazu leisten, will selbst auf der Suche bleiben und andere dabei unterstützen.

Frage: Das wird ja bereits konkret in den Aufgaben, die Sie hier haben. Sie spielen gemeinsam mit P. Dominikus an der Abteiorgel die Begleitung für die Gottesdienste, singen in der Choralschola mit und sind verantwortlich für die Jugendarbeit. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Br. Wolfgang: Für die Menschen da zu sein, die hierherkommen. Ganz konkret. Wer auch immer kommt. Damit hier ein Ort ist, an dem Gottsuche möglich ist und an dem Menschen ein offenes Ohr finden. Das ist ein wesentlicher Teil der Frage, zu was ich eingetreten bin: Damit genau das hier passiert. Gottsuche. Und wenn ich andere ihren Weg finden sehe, hilft mir das auch immer wieder auf meinem Weg weiter.
Den Spalt dafür offen zu halten, versuche ich in meiner Arbeit bei den etablierten Kursen von Junges Münsterschwarzach an Silvester, Ostern und Pfingsten, aber auch bei neuen Angeboten, die ab 2024 kommen sollen. Gemeinsame Wochenenden in der Münsterklause, bei denen wir gemeinsam Zeit verbringen und, wie auch immer sich das konkret gestalten mag, gemeinsam Gott suchen gehen. Ich bin gespannt.

Frage: Als Professspruch haben Sie sich „prudenter et cum caritate“ („mit Bedacht und Liebe“) ausgewählt. Warum?

Br. Wolfgang: Mir wurde kürzlich mal gesagt, dass es bei mir immer ‚Einerseits und Andererseits‘ gibt. Kommt vielleicht von meinem vorherigen Leben als Jurist (lacht). Dieses ‚mit Bedacht‘ ist ein Punkt, der mir wichtig ist. Es gibt immer die eine und die andere Seite. Wir Benediktiner finden immer wieder unseren Weg, indem wir die verschiedenen Stimmen hören und irgendwie zusammenbringen. Dazu bedarf es der Klugheit, die vermitteln kann, und nicht weniger der caritas. Carus heißt lieb, aber auch teuer. Es geht um etwas, das mich auch etwas kosten darf. Das heißt, es bleibt nicht bei der bloßen Klugheit. Ich wäge nicht ab wie ein Richter, möglichst abgebrüht und neutral, sondern das Abwägen mischt sich mit meinem persönlichen Hiersein – eben auch damit, dass ich Teil der Gemeinschaft und selber betroffen bin. Das immer wieder zusammenzubringen, ist eine Lebensaufgabe.