Predigten

Die Antwort auf die Sehnsucht

Predigt von P. Anselm Grün OSB an Epiphanie 2023.

 Es ist eine eigenartige Geschichte, die uns Matthäus heute erzählt. Da kommen Magier aus dem Osten, um den neu geborenen König der Juden in Bethlehem anzubeten. Magier sind Weise, die das Wissen des Ostens repräsentieren. Matthäus will mit dieser Geschichte zeigen, dass dieser Jesus von Nazareth die Weisheit von Ost und West in sich verkörpert. Er erfüllt die Sehnsucht der Menschen im Orient nach einer Weisheit, die uns zeigt, wie unser Leben gelingt. Die Kirche ist mit ihrer liturgischen Tradition dem Anliegen des Matthäus gefolgt. Sie hat Weihnachten auf den 25. Dezember gelegt, dem Fest des römischen Sonnengottes: Sol invictus, der unbesiegbare Sonnengott.

Die Römer haben mit ihrer Verehrung des Sonnengottes ihre Sehnsucht ausgedrückt, dass das warme Licht der Sonne alle Kälte unserer Herzen und alle innere Dunkelheit vertreibt und unser Leben erhellt. Die Griechen haben das Weihnachtsfest auf den 6. Januar verlegt. Damit wollten sie zeigen, dass Jesus die Sehnsucht der Griechen erfüllt. Es sind zwei Sehnsüchte, die die Griechen mit dem 6. Januar verbanden. Zum einen feierten sie in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar die Geburt des Äon, des Gottes der Zeit. Die Griechen verbanden mit diesem Fest die Sehnsucht, dass die verbrauchte alte Zeit sich auflöst und eine neue, unberührte, kraftvolle Zeit beginnt, in der neues Leben aufblüht. Mit dem Kind in der Krippe, so glaubte die griechische Kirche, beginnt eine neue Zeit. Wir sind nicht festgelegt durch die Vergangenheit. Wir können neu anfangen, so wie in dem Kind die Verheißung eines neuen Anfangs liegt.

Die zweite Sehnsucht verbanden die Griechen mit dem Dionysoskult. In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar stellte man drei Krüge Wasser in den Dionysostempel und erhoffte, dass sie über Nacht in Wein verwandelt werden. Die Kirche dachte daher an diesem Tag auch an die Hochzeit zu Kana, bei der 6 Krüge Wasser von Jesus in Wein verwandelt worden sind. Die Kirche drückt damit aus: Jesus erfüllt die Sehnsucht, die die Griechen mit Dionysos verbunden haben, die Sehnsucht nach Ekstase, nach einem Rausch, der unser eintöniges Leben verwandelt und ihm einen neuen Geschmack gibt. Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche hat am Christentum kritisiert, dass es das Dionysische verloren hat, dass die christliche Spiritualität langweilig und kraftlos und leidenschaftslos geworden ist. Die Griechen haben das Christliche anders verstanden. Für sie war es die Erfüllung der Sehnsucht nach einer neuen Lebensqualität. Und Spiritualität bedeutete für sie, die Leidenschaft Jesu für die Armen zu übernehmen. Die Lateiner sprechen von der sobria ebrietas, von der nüchternen Trunkenheit.

Die Weisheit der Kirche bestand darin, dass sie all die heidnischen Sehnsüchte ernst genommen hat, dass sie aber die Botschaft von Jesus so verkündet hat, dass dieser Jesus schon als Kind in der Krippe alle unsere menschlichen Sehnsüchte erfüllt. Karl Rahner hat den Weg der Magier als einen Weg der Sehnsucht beschrieben und ihn so als Bild für unseren persönlichen Weg gedeutet. Jeder von uns kennt den Stern, der auf dem Horizont unseres Herzen aufstrahlt, den Stern der Sehnsucht nach einem Ort, an dem wir ganz er selber sind, an dem wir bei uns selber ankommen, an dem wir einfach niederfallen, all unsere Sorgen vergessen, um einfach da zu sein, an dem wir die Erfahrung machen: Alles ist stimmig. Oder wie Peter Schellenbaum es ausdrückt, wir sind einverstanden mit dem Wunderbaren. Wir alle sind auf dem Weg der Sehnsucht. Doch manchmal versteckt sich der Stern. Wir verlieren unsere Sehnsucht aus den Augen. Die Geschichte vom Zug der Magier will uns wieder mit unserer Sehnsucht in Berührung bringen. Wir alle sind auf dem Weg. Der romantische Dichter Novalis stellt die Frage: Wohin denn gehen wir? Und er antwortet: Immer nach Hause. Wir alle folgen dem Stern unserer Sehnsucht, der uns an den Ort führt, an dem wir wahrhaft zu Hause sind.

Die drei Gaben, die die Magier dem Kind in der Krippe darbringen, sind Ausdruck unserer Sehnsucht nach einer Weisheit, die unser Leben gelingen lässt. Das Gold, das im Feuer geläutert wird, steht für die Sehnsucht nach einer geläuterten Weisheit, die frei ist von der Sucht, sich selbst darzustellen zu müssen, frei von dem Druck andere mit unserem Wissen zu übertreffen. Es ist die Weisheit, die Licht bringt in unser Leben, so wie das Gold neuen Glanz unserem Leben verleiht. Der Weihrauch steht für die Sehnsucht nach Transzendenz, nach dem Himmel. So wie der Weihrauch zum Himmel steigt, so steigt unsere Sehnsucht nach oben, zu Gott hin. Und der Weihrauch steht für die Sehnsucht, dass unser Leben einen neuen Geschmack bekommt.

An Epiphanie segnen wir unsere Häuser, indem wir unsere Räume mit Weihrauch räuchern. Manche meinen, das sei heidnisch. Die Germanen wollten mit dem Rauch die Dämonen vertreiben. Das bräuchten wir Christen nicht. Doch die Kirche hat auch die Sehnsucht der Germanen ernst genommen und neu gedeutet. Wir brauchen keine Dämonen zu vertreiben. Doch in jeder Wohnung gibt es Konflikte, die unter den Teppich gekehrt wurden, und oft genug haben wir mit unserer Unzufriedenheit und Nörgelei die Atmosphäre vergiftet. Da sehnen wir uns danach, dass wir in gesegneten Räumen leben, nicht in einer angespannten Atmosphäre, sondern in einer gelösten und heilsamen Atmosphäre.

Die Myrrhe ist ein Paradieseskraut, das Krankheiten heilt. Die Myrrhe steht daher für unsere Sehnsucht nach Heilung unserer Wunden. Die Weisheit – so glaubten die Griechen – hat schon eine heilende Kraft. Denn viele Verletzungen kommen daher, dass die Menschen unsere Vorstellungen, die wir von ihnen haben, nicht erfüllen. Wir stellen uns vor, die müssten doch merken, wie es uns geht. Aber sie merken es nicht. Indem wir mit einer neuen Sichtweise auf unsere Verletzungen schauen, können sie sich wandeln. Dann erkennen wir ihren Sinn, dass sie uns aufbrechen, damit wir mit dem inneren Gold in uns in Berührung kommen.

Das Fest Epiphanie – oder wie der Volksmund es nennt – das Dreikönigsfest ist eine Antwort auf unsere tiefsten Sehnsüchte. In unseren Sehnsüchten fühlen wir uns eins mit allen Menschen, auch mit denen, die sich Heiden nennen, auch mit denen, die mit der Kirche nichts zu tun haben wollen. Die Sehnsucht ist in uns allen. Sie verbindet uns miteinander, anstatt uns zu trennen. Unsere Aufgabe wäre es, nach diesen Sehnsüchten der Menschen zu fragen, die sich oft anders ausdrücken, als wir gewohnt sind, etwa in der modernen Philosophie und Psychologie, in der Literatur, in der Musik, in der Malerei. Nur wenn wir auf die Sehnsüchte der Menschen hören, können wir die christliche Botschaft so verkünden, dass sie auf die Sehnsüchte der Menschen antwortet, dass die Menschen sich in ihrem Herzen berührt fühlen.

Uns täte es heute gut, wenn wir mit dem Vertrauen und der Hoffnung der frühen Christen auf die Sehnsüchte und Fragen der Menschen antworten könnten. Dann bräuchten wir keine Angst zu haben, dass die Kirchen leerer werden, dass viele Menschen die Kirche verlassen. Dann dürfen wir vertrauen und hoffen – so wie es der evangelische Landesbischof Bedford-Strohm ausgedrückt hat - , dass viele junge Menschen in der Kirche wieder einen Ort erkennen, an dem sie auf ihre Fragen eine Antwort finden, die sie trägt, und einen Ort, an dem sie mit ihrer Sehnsucht sich verstanden und angenommen fühlen.

Die Sehnsucht führt über unsere enge aufgewühlte Welt hinaus, aber sie führt nicht aus der Welt heraus. Sie ist keine Flucht vor der Realität dieser Welt. Sie weckt in uns die Hoffnung auf eine neue Zeit, die Hoffnung, dass das Licht über die Dunkelheit siegt. 500 Jahre vor Christus hat der griechische Philosoph Heraklit das so ausgedrückt: „Wer nicht das Unverhoffte zu hoffen vermag, der wird es nie erlangen.“ Das Fest Epiphanie will uns in dieser Hoffnung stärken. Doch Sehnsucht und Hoffnung sind keine Vertröstung. Sie spornen uns vielmehr zum Handeln an, zum leidenschaftlichen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, für eine Umwelt, in der auch künftige Generationen noch gut leben können, und für die Verbundenheit aller Menschen.

Das ist heute wohl die größte Sehnsucht, bei aller Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft, sich verbunden zu fühlen. Heute erleben wir, dass viele Menschen krank werden, weil sie sich einsam und isoliert fühlen. Das Fest von Epiphanie will uns zeigen, dass uns die gleiche Sehnsucht miteinander verbindet. Und es zeigt uns, dass in diesem Kind in der Krippe eine Liebe aufleuchtet, die uns in der Tiefe unserer Seele miteinander verbindet. Die Liebe als Mitgefühl mit allen Menschen, auch mit denen, die uns feindselig gegenüber stehen, schafft diese Verbundenheit. So können wir hier in der Kirche das Fest nicht für uns allein feiern, sondern immer in der Verbundenheit mit allen suchenden Menschen, mit allen Menschen, die dem Stern ihrer Sehnsucht folgen. Amen.