Von Münsterschwarzach geprägt: Sant'Anselmo in Rom

Wer nach Rom reist, sollte unbedingt nach Sant’Anselmo gehen. Denn dort leben nicht nur zwei Mönche aus Münsterschwarzach, sondern es gibt noch mehr aus Franken dort. Ein Besuch.

Rom ist voller Touristen. Egal zu welcher Jahreszeit. Ob im „centro storico“, dem Petersplatz oder an antiken Stätten: alles drängt in der ewigen Stadt. Auch auf dem Weg auf den Aventin, einen der sieben Hügel Roms. Den Circus Maximus lassen die Menschen links liegen, bergauf zum „punto panoramico“ im Park „Giardino degli Aranci“ (dt.: „Orangengarten“). Die Römer sind genervt. „Diese Straßenseite ist nur für Einheimische“, ranzt ein Obdachloser eine Gruppe an, die ihm zu nahe kommt. Nicht nur er sehnt sich nach Ruhe.

Die kehrt fast schlagartig ein, wenn man der Straße nach dem Park weiter folgt. Die letzten übrigen Weggefährten sind spätestens an der Basilica di Santa Sabina all’Aventino verloren. Die Oase der Stille inmitten des hektischen Roms ist schon in Sichtweite: Das Päpstliche Institut Sant’Anselmo, Primatialabtei der Benediktiner weltweit. Und der temporäre Wohnort von zwei Münsterschwarzacher Mönchen. P. Mauritius Wilde OSB ist dort Prior, Br. Joel Schmidt OSB Student. Nicht der schlechteste Wahlwohnsitz.

Wer durch das Tor kommt, spürt sofort, dass dieser Ort etwas besonders ist. Das liegt mitunter an den dicken Mauern, die den Schall der Straße absorbieren. Stille. Ein Weg führt direkt zur Kirche, rechts davor ein kleiner Klosterladen. Der unterscheidet sich nicht nur vom Angebot von den ramschigen Devotionalienläden im Borgo, dem Viertel vor dem Vatikan. Ein zurückhaltender Verkäufer an der Kasse, der auf Nachfrage via Google-Translate kommuniziert. „Non parlo bene l'inglese.“ („Ich spreche nicht so gut Englisch.“). Man versteht sich trotzdem. Und fühlt sich mehr als Willkommen.

Auch in der Mittagshore, die gleich beginnt. Die Hausgäste sitzen mit im Chorgestühl der Mönche. Im hinteren Kirchenschiff nimmt ein Priester einem Mann die Beichte ab. Hier kommt man her, wenn man beten möchte. Nicht nur zur Besichtigung. Wer die Kirchen Roms kennt, weiß um die schnell inflationär wirkende Schönheit. Gold, Malereien, Prunk. In der Abteikirche das krasse Gegenteil. Beruhigt, schlicht, beinahe demütig. Das einzige, was hier auffällig golden strahlt, ist der Aufdruck auf den Stundenbüchern. Auf Latein – das kann auch das internationale Publikum mitbeten. Denn in Sant’Anselmo studieren und leben Benediktiner aus über 30 Nationen. In der zur Abtei gehörenden Hochschule des Benediktinerordens sind aber nicht nur Ordensleute eingeschrieben. Sie gilt als beste Universität für Liturgiewissenschaft.

.

Br. Joel will sich hier weiter spezialisieren. Seit einem Jahr studiert er im Lizenziats-Studiengang Liturgie. In den Semester- und Weihnachtsferien kommt er in die Heimat nach Münsterschwarzach. Im September hat er seine zeitlichen Gelübde abgelegt – und auch eigentlich die „Stabilitas“ („Beständigkeit“) versprochen. Dadurch, dass die Uni gleichzeitig ein Kloster ist, könne er temporär gut dort leben, erzählte er bei einem Besuch in Münsterschwarzach.

Insgesamt fühle er sich in Rom und in der Gemeinschaft sehr wohl – auch, wenn es tatsächlich manchmal noch Sprachprobleme gebe, lacht er beim Mittagessen in der „halboffenen“ Klausur. Durch die vielen Gäste und den angrenzenden Universitätsbetrieb habe man beschlossen, dass bei Tisch – zumindest mittags – auch geredet werden dürfe. Einen separaten Speisesaalgebe es nicht, sodass die Mönche grundsätzlich gemeinsam mit den Gästen im Refektorium essen.

Der Tischdienst schiebt die Servierwägen am langen Esstisch im holvertäfelten hohen Raum entlang. Als Vorspeise gibt es Pasta und Salat, die Hauptspeise besteht aus Fleisch, Gemüse und Kartoffeln und zum Nachtisch wird Obst gereicht. Typisch italienisch. Wie auch der Gastbruder – und das, obwohl er eigentlich aus Amerika stammt. Er sorgt sich nicht nur darum, dass auch alle genug essen, sondern unterhält auch gefühlt den ganzen Tisch. Ein Paradebeispiel benediktinischer Gastfreundlichkeit. „Sieht hier ein bisschen aus wie in den Harry-Potter-Filmen“, witzelt er etwa.

Stimmt. Nur dass am Tisch, an dem der Schuldirektor Albus Dumbledore sitzen würde, der große „Chef“ der Benediktiner seinen Platz hat: Abtprimas Gregory Polan. Seit zwei Jahren steht er den Benediktinern weltweit vor. Als er im September 2016 zum Nachfolger von Notker Wolf als 10. Abtprimas gewählt wurde, entschied er sich, P. Mauritius zu seinem Prior in Sant’Anselmo zu machen. Und nicht nur das verbindet ihn und seine Abtei mit Münsterschwarzach. Sein Brustkreuz wurde in der Klostergoldschmiede gefertigt.

Werke aus Münsterschwarzach finden sich aber auch noch an anderen Stellen im Kloster, wie P. Mauritius später bei einer Führung erklärt. In der Sakristei etwa. Die ist größer als manch eine Domsakristei in Deutschland. Muss sie auch sein. Die 80 Priester, die zur Gemeinschaft gehören, brauchen den Platz. Und vor allem ihre Kleidung. Drei Ständer mit jeweils 80 Stolen in den entsprechenden liturgischen Farben stehen im Raum. An der Stirnseite thront eine große Statue von Papst Leo XIII., der für die Abtei große Bedeutung hat. Zu seinen Füßen das Vortragekreuz der Abtei. Gefertigt in der Münsterschwarzacher Goldschmiede. Und das ist nicht einmal alles. Auch der Tabernakel in der Abtskapelle kommt aus Franken.

„Leo XIII. war es, der Sant’Anselmo eigentlich ins Leben gerufen hat“, erklärt P. Mauritius. Am 4. Januar 1888 gab er dem Institut, das für die Ausbildung benediktinischer Mönche gegründet wurde, die päpstliche Anerkennung. Der erste Abtprimas wurde fünf Jahre später gewählt. Seine Aufgabe sollte es sein, den Orden als Repräsentant nach außen zu vertreten, auch beim Heiligen Stuhl. Bis heute. Als einziger der in Sant’Anselmo lebenden Mönche hat er seine stabilitas für die Dauer seiner Amtszeit auf die Primitialabtei übertragen. Seine Offiziale leben zwar dauerhaft in Sant’Anselmo, gehören aber zu einer anderen Abtei.

Der Rest der Benediktiner dort sind Studenten und Gäste. Etwa 100 Männer insgesamt, die sich optisch anhand ihrer Kleidung eigentlich nicht unterscheiden. Erst auf den zweiten Blick sind Details und Unterschiede beim Habit, je nach Kongregation, zu erkennen.

P. Mauritius ist als Prior ist für den Abtprimas einer der wichtigsten Mitarbeiter. Verantwortlich für die Organisation einer Abtei, die streng genommennicht mal die Seinige ist. Ein Problem ist das für ihn aber nicht. Er hat sogar Erfahrung in der Fremde: Von 2011 bis 2016 stand er als Prior dem Christköngispriorat in Schuyler, Nebraska, vor. Diese Zeit ist sogar ein Grund, warum er überhaupt nach Rom kam. „Der Abtprimas wollte wieder jemanden von den Missionbenediktinern in Rom haben. Da wir uns aus Amerika kannten, hat er Abt Michael gefragt, ob er mich als Prior ausleihen dürfte“, lacht P. Mauritius. Durfte er. Im November 2016 zog der Benediktiner von Nebraska nach Rom.

Neue Abtei, neue Sprache, neue Aufgaben – P. Mauritius schien das vor knapp zwei Jahren mit Leichtigkeit zu bewältigen. Er ist einer, der immer ein Lächeln in der Stimme hat, wenn er spricht. Läuft er über das Abteigelände, wird er von jedem freudig begrüßt. In allen möglichen Sprachen. Italienisch, englisch, deutsch. „Manchmal wechsel ich innerhalb von fünf Sätzen die Sprache. Und das merke ich nicht mal“, erklärt er. Gewohnheit.

Beim internationalen Publikum an der Hochschule ist das aber nötig. Die Unterrichtssprache ist zwar italienisch, genau wie die offizielle Sprache in der Abtei. Doch gerade unter vier oder sechs Augen wird dann eher mal die Heimatsprache gesprochen.

Außergewöhnlicher Fernblick

Es gibt allerdings eine Sache, an die sich der Prior immer noch nicht gewöhnt hat: Der Blick aus dem Fenster auf die Kuppel des Petersdoms. „Aber das will ich auch gar nicht!“ Dabei wird ihm immer wieder bewusst, wie sehr im Herzen Roms das Zentrum der Benediktiner eigentlich ist – und doch abgeschieden vom Trubel durch die „natürliche Klausur“ der Aventinhänge. Gleichzeitig ist der markante Turm immer vom Ausgehviertel Trastevere sichtbar. Als Bastion der Ruhe ragt er über die Zypressen. Fernab des pulsierenden Lebens und doch mittendrin.